Statement der KV Berlin zu den antisemitischen Ausschreitungen
Der Vorstand und die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin haben sich angesichts der antisemitischen Ausschreitungen der vergangenen Tage in Berlin zu einem öffentlichen Statement entschieden.
„Es ist ein Jahr her, als die KV Berlin ihre neue Gedenkstätte für jüdische Kassenärzte eingeweiht hat. Die Gedenkstätte, die erstmalig 2008 eingerichtet und 2022 neu konzipiert wurde, erinnert an die Berliner Kassenärzte, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, entrechtet, ins Exil getrieben oder getötet wurden. Von damals rund 3.600 Berliner Kassenärzten waren 2.063 jüdischer Herkunft. Ihre Tätigkeit wurde sukzessive eingeschränkt, bis ihnen 1938 die Approbation entzogen und damit ein Berufsverbot erteilt wurde.
Es war und ist der KV Berlin ein großes Bedürfnis, mit der Ausstellung an die Gräueltaten der Nationalsozialisten und die unzähligen jüdischen Kollegen zu erinnern, die damals ihr Leben lassen mussten. Dieses dunkle Kapitel der Ärzteschaft, in das auch die Vorgängerorganisation der KV Berlin involviert war, darf niemals in Vergessenheit geraten. Der Großteil der Kassenärzte hatte damals die Verbrechen gegenüber den jüdischen Kolleginnen und Kollegen billigend in Kauf genommen und zumeist darüber geschwiegen.
Es wäre uns nicht in den Sinn gekommen, dass nur ein Jahr nach Wiedereröffnung der Gedenkstätte in unserer Stadt jüdisches Leben bedroht wird. Dass sich jüdische Mitbürger nicht mehr allein auf die Straße trauen. Dass jüdische Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken. Hierzu können und wollen wir nicht schweigen! Wenn die Gesundheit und das Leben von Menschen aus unserer Mitte – unabhängig von ihrer Herkunft, Religion und Kultur – bedroht ist, sie einem massiven Hass ausgesetzt sind und in unserem freiheitsliebenden Land angegriffen werden, dann müssen wir unseren Mund aufmachen. Wir dürfen nicht schweigen, es nicht stillschweigend billigen und nicht wegschauen! Was passiert, wenn sich Schweigen breitmacht, hat Deutschland zwischen 1933 und 1945 erlebt. Das darf sich nicht wiederholen.
Die KV Berlin schließt sich den Solidaritätsbekundungen des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier vom vergangenen Wochenende an. Der Schutz jüdischen Lebens ist auch eine Bürgerpflicht. Politisch motivierte Gewalt hat in unserer Gesellschaft nichts zu suchen, egal von wem und gegen wen. ‚Multi-Kulti‘ ist ein Argument für Toleranz und Freiheit und keine Rechtfertigung für Antisemitismus sowie religiösen Hass oder Fremdenfeindlichkeit jeglicher Couleur.
Die Berliner Ärzteschaft steht hinter den jüdischen Mitbürgern. Wer sie angreift, greift uns an. Unsere Praxen, aber auch unsere Stadt sollen sichere Orte sein, für alle, die Schutz suchen. Die Berliner Vertragsärzte behandeln in ihren Praxen alle Menschen, die unsere Hilfe benötigen. Dies werden wir auch weiterhin uneingeschränkt tun! Gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen, gegen das Verharmlosen, gegen das Verschweigen – das waren die Leitmotive des 2020 verstorbenen Berliner Arztes Roman Skoblo, der die Idee für die Gedenkstätte der KV Berlin hatte. Er sagte einmal: Wer seine Fehler nicht kennt, läuft Gefahr, sie zu wiederholen. Wir kennen unsere Fehler und wollen sie nie wieder machen!“