Koalitionsvertrag lässt realistische Analyse der Gesundheitsversorgung vermissen
Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin steht Berlins neue Regierung und Gesundheitssenatorin Ina Czyborra vor großen Herausforderungen, wenn es um die ambulante Gesundheitsversorgung in der Hauptstadt geht: Ein sich stetig verschärfender Fachkräftemangel, die nicht auskömmliche Finanzierung der Praxen, das sinkende Interesse an der Niederlassung, eine immer älter werdende Bevölkerung, schnell wachsende Bezirke an den Rändern Berlins, mit deren Entwicklung die ambulante Versorgung nicht mehr Schritt halten kann, und eine fehlende Patientensteuerung – hier sind dringend Lösungen gefragt, damit die ambulante Versorgung in Berlin auch zukünftig gesichert bleibt.
„Vor dem Hintergrund dieser Mammutaufgabe stimmt es uns zunächst wenig optimistisch, dass der Koalitionsvertrag von CDU und SPD für diese so wichtigen Themen echte Lösungsansätze vermissen lässt, dafür aber der ambulanten Versorgung noch mehr Aufgaben aufgebürdet werden sollen“, heißt es seitens des Vorstands der KV Berlin. Der Koalitionsvertrag enthalte ein buntes Maßnahmen-Potpourri mit vielen Versprechungen, es fehle aber eine realistische Analyse der dringenden Herausforderungen. „Die Politik wünscht sich immer eine bestmögliche Gesundheitsversorgung, wohnortnah, 24 Stunden, sieben Tage die Woche, und suggeriert dem Bürger, dass dies auch möglich ist. Dieses Wunschdenken ist aus unserer Sicht realitätsfremd.“ Das bisherige „Rundum-Wohlfühl-Programm“ für die Patient:innen mit freiem Zugang zu allen medizinischen Angeboten – und das jederzeit – könne unter den gegebenen Umständen nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Devise „Weiter so wie bisher“ sei nicht mehr möglich.
Positiv bewertet die KV Berlin in diesem Zusammenhang, dass CDU und SPD den Bedarf an medizinischen Leistungen hinterfragen und an aktuelle Gegebenheiten anpassen möchten. Ob damit am Ende der Ärzt:innenmangel in Rand- bzw. mangelversorgten Bezirken behoben werden kann, bezweifelt die KV Berlin. Denn ein Mehr an Leistung kann es nicht einfach geben, ohne die Frage nach der Finanzierung zu beantworten. Schon heute bekommen die Berliner Ärzt:innen 10 bis 15 Prozent ihrer Leistungen nicht bezahlt. Die im Koalitionspapier genannten KV-Praxen können die aktuellen Probleme zwar abmildern, aber 135 derzeit offene Hausarztsitze allein in den Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick können so nicht aufgefangen werden. Die finanziellen Spielräume der KV Berlin sind begrenzt; Eigeneinrichtungen können nicht unbegrenzt aufgebaut werden. Hier erwartet die KV mehr Unterstützung durch den Senat und die Bezirke, ggf. auch finanzieller Art, so wie es in anderen Bundesländern bereits gehandhabt wird.
Auch bei der Notfallversorgung liefert die neue Regierung keine Antworten darauf, wie die gewünschten Leistungserweiterungen realisiert werden sollen. Anstatt den Patient:innen zu vermitteln, wann ein Notfall vorliegt und welche Versorgungsangebote dann bereitstehen, sollen kostenintensive neue Strukturen geschaffen werden. „Angesichts fehlendem Personal und knapper Kassen in der ambulanten Notfallversorgung sind auch diese Pläne reines Wunschdenken. Um die Gesundheitsversorgung in Berlin zukunftsfähig aufzustellen, sind unliebsame Fragestellungen unausweichlich. Hier muss die Politik viel stärker die Expertise der ambulanten Versorgung nutzen. Hierfür bieten wir der neuen Gesundheitssenatorin unsere ausdrückliche Unterstützung und Gesprächsbereitschaft an“, heißt es abschließend.
Die Stellungnahme der KV Berlin zum Koalitionsvertrag finden Sie hier.