Viele praktikable Vorschläge – dafür braucht es Personal und ausreichende Finanzierung
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin sieht in dem Eckpunktepapier zur Notfallreform „gute und praktikable Vorschläge“, die allerdings ohne zusätzliches Personal und ohne eine ausreichende Finanzierung nicht umsetzbar sein werden. „Für mehr Leistungen sind mehr Ressourcen erforderlich. Die Antwort darauf bleibt das Papier ebenso schuldig wie Lösungen, wie die aktuelle Fehlinanspruchnahme durch die Patienten reduziert werden kann. Wir hatten gehofft, dass die Politik der Bevölkerung endlich klarmacht, dass alle Leistungen nicht zu jeder Zeit vollumfänglich genutzt werden können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Angebotsschraube dreht sich weiter nach oben. Eines ist klar: Ohne eine intelligente Patientensteuerung wird die Notfallreform scheitern“, sagte der KV-Vorstandsvorsitzende Burkhard Ruppert heute auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundesgesundheitsminister.
Wie eine sinnvolle Patientensteuerung aussehen kann, zeigt die KV Berlin seit 2017 in ersten Ansätzen. Wenden sich Patient:innen unter der 116117 an die Leitstelle des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD), werden ihre Beschwerden mit einem standardisierten medizinischen Ersteinschätzungsverfahren bewertet, um sie danach in die richtige Versorgung zu leiten. Das kann ein ärztliches Beratungsgespräch am Telefon sein, der Besuch einer KV-Notdienstpraxis, ein Hausbesuch durch den fahrenden Dienst, ein Akuttermin in einer Praxis oder der Besuch einer Praxis an einem Folgetag. Sollte es sich um einen Notfall handeln, wird an die Leitstelle der Berliner Feuerwehr abgegeben. Beide Leitstellen sind bereits seit 2009 vernetzt und leiten Patient:innen je nach Behandlungsbedarf gegenseitig weiter. In einer gemeinsamen Werbekampagne wurde sogar eigens auf die Kooperation und den richtigen Umgang mit den Telefonnummern 116117 und 112 hingewiesen.
„Wir konnten Bundesminister Karl Lauterbach heute während einer Besichtigung unserer Leitstelle erläutern, wie Patientensteuerung in einer Stadt wie Berlin funktionieren kann, wir aber trotz aller positiven Nachrichten an unsere finanziellen und personellen Grenzen stoßen und nicht wissen, wie lange wir das Angebot in dieser Form noch aufrechterhalten können“, so Ruppert. Die ambulante Notfallversorgung ist seit Jahren defizitär und der Fachkräftemangel spitzt sich weiter zu. Hier stellt sich die KV Berlin die Frage, woher zusätzliches Personal nehmen, um die geplante Stärkung der Angebote rund um die 116117 umzusetzen? Werden die geplanten Vorhaltepauschalen ausreichen, um den kompletten ÄBD endlich ausreichend zu finanzieren? Dazu zählen neben der Leitstelle auch der fahrende Dienst, die Notdienstpraxen und die Beratungsärzt:innen. Letztere haben sich als ein besonders effizientes Angebot erwiesen: In rund zwei Drittel aller Gespräche können Patientenanliegen fallabschließend bearbeitet werden und wird keine weitere Versorgung benötigt. Zum Leidwesen der KV Berlin musste dieses Angebot reduziert werden, da sich die Krankenkassen bis heute nicht an der Finanzierung beteiligen.
Auch das geplante INZ-Modell mit gemeinsamem Tresen ist in sechs KV-Notdienstpraxen für Erwachsene und fünf für Kinder und Jugendliche in Berlin längst gelebte Realität. Hier warnt die KV Berlin allerdings davor, neben der Regelversorgung zusätzliche Angebote aufzubauen. „Wir lehnen eine Doppelstruktur während der Praxissprechzeiten ab, da sie neben der Kostenfrage zu einer Mehrbelastung der Ärzte führen würde“, so Ruppert mit Blick auf die vorgesehenen Öffnungszeiten der INZ. Ein weiteres Problem sieht die KV in der Standortsuche. „Dass das Land bei fehlender Einigung im Erweiterten Landesausschuss am Ende das letzte Wort haben soll, können wir nicht akzeptieren. Auch vor dem Hintergrund, dass wir uns das Personal nicht backen können und eine KV-Notdienstpraxis nicht mal so nebenbei aufgebaut werden kann. In Berlin haben wir für 11 Notdienstpraxen vier Jahre gebraucht.“ Darüberhinaus fordert die KV Berlin ein Umdenken bei der Verantwortung für den gemeinsamen Tresen. Dieser kann nur – wie in Berlin seit Jahren praktiziert – in gemeinsamer Kooperation von Krankenhaus und KV umgesetzt werden und, nicht wie im Eckpunktepapier vorgesehen, in Federführung des jeweiligen Krankenhauses.
„Abschließend kann man sagen, dass es dringend an der Zeit ist, die Notfallreform in Angriff zu nehmen. Das Eckpunktepapier ist ein erster Aufschlag, dem ein detaillierter Referentenentwurf mit sehr viel mehr Facetten folgen muss. Im Besonderen möchten wir die Politik bitten, ihren Blick für die ambulante Versorgung zu schärfen. Laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung stehen bundesweit jährlich mehr als 200 Millionen behandelten Akutpatienten in den Praxen rund 17,5 Millionen Notfallpatienten gegenüber, von denen 10 Millionen in den Rettungsleitstellen der Krankenhäuser ambulant versorgt werden und 7,5 Millionen vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen. Diese Zahlen sollten zum Nachdenken anregen“, so Ruppert abschließend.